Niteen Gupte
 
DIE SELBSTVERSTÄNDLICHKEIT DES HYBRIDEN
Ein Projekt von Niteen Gupte
Mumbai-Köln, 2000-2001

im Rahmen der interkontinentalen Wandmalaktion Mural-Global zur „Agenda 21“
initiiert von Farbfieber e.V., Düsseldorf,
unter der Schirmherrschaft der UNESCO

realisiert mit Unterstützung von
Allerweltshaus, Köln
Kulturamt der Stadt Köln
Luther-Kirche, Köln (-Südstadt)
Jindal Arts Centre (JACIC), Mumbai
Artists’ Centre, Mumbai
Max Müller Bhavan/Goethe Institut, Mumbai
Kala Ghoda Association, Mumbai
Khyber Restaurant, Mumbai

Die Selbstverständlichkeit des Hybriden

Das Projekt Die Selbstverständlichkeit des Hybriden nimmt die Wandbemalung an der Außenmauer der Luther-Kirche in der Kölner Südstadt zum Ausgangspunkt, um die Möglichkeiten interkultureller Verständigung mittels der Malerei, den relativen Stellenwert der Malerei in den unterschiedlichen Kulturräumen sowie das Nord-Süd-Gefälle, das im Prozess der Modernisierung, Urbanisierung und Globalisierung immer deutlicher wird, zu thematisieren.
Auf einer öffentlich zugänglichen Kölner Wand werden indische Wände fortgeführt. Es wird ein Bild auf Wände in zwei Kontinenten gesetzt. Die durch Alter und Verbrauch „natürlich“ entstandene Patina der indischen Wände selbst wird zum „Bild“ deklariert, denn sie ist ihnen so charakteristisch wie die bemalte Frische den deutschen Wänden und dem westeuropäischen Wohn-befinden.

Dieses „Bild“ wird auf der Kölner Wand nicht nachgeahmt, sondern fortgesetzt - kulturgerecht - mit malerisch-kompositorischen Mitteln. Führt man ein kulturspezifisches Phänomen in einen anderen Kulturraum hinein, handelt es sich um eine Adaptation, deren Vorgang und Fortgang, die subjektiv-künstlerische Vereinnahmung des optischen Gegenstandes, hier auch auf transportablen Tafelbildern und anderen Objekten festgehalten wird. Hiermit wird das Malen als „künstlerische“ Tätigkeit auf ihre europäischen Wurzeln zurückgeführt.
Die Malerei auf der Kölner Wand bezieht sich auf ein typisches Merkmal der Patina indischer Wände: die Spuren des Tabakspuckens. Leute kauen Betelblatt („Paan“) gefüllt mit verschiedenen Ingredientien inkl. Tabak, und dann spucken sie es aus in den Städten auf Straßen und Wände - notgedrungen, da dazu geeignete Aborte fehlen. Das Paan-Kauen ist in der indischen Esskultur rituell verankert. Mit der Aufnahme dieser Motivik wird nicht nur auf die augenfällige Verschmutzung der indischen Städte angespielt, sondern auch auf den Stellenwert der tradierten Riten und Gewohnheiten im Prozess der Urbanisierung Indiens, worin ein Spucknapf keinen Platz mehr habe; ihr rasantes Tempo verfolge wohl globale Interessen ohne Rücksicht auf die Tradition des Kulturraumes noch auf die längst überlastete Infrastruktur der Städte.

Die Verwirklichung des Köln-Bombay Murals, das die Grenzen einer Seccomalerei sprengt, begann mit einer Indien-Reise von Niteen Gupte im Mai-Juni 2000. Paradigmatisch wurden Wände in drei indischen Städten (Bombay-Kalkutta -Poona) fotografisch dokumentiert um das Paan-Spucken als einen wesentlichen Teil der pa(a)n-indischen Alltagskultur festzuhalten. Angestrebt war in der Planungsphase auch ein deutlich sichtbares Zeichen an einer der bespuckten indischen Wände, damit deren künstlerische Einbindung dem Betrachter visuell nachzuvollziehen wäre. Im weiteren Verlauf des Projekts musste jedoch diese Idee aufgegeben werden. Denn, als das Vorhaben verschiedenen Institutionen/Individuen in Indien vorgestellt wurde, waren heiße Diskussionen, ja erhitzte Argumentationen und Kontroversen die Folge. Die Thematisierung des Spuckens wurde als negative Darstellung Indiens betrachtet und Niteen Gupte als „Nestbeschmutzer“ kritisiert. Zahlreiche Themen wurden jedoch dadurch angesprochen: Verschmutzung der Städte, Kampagnen und Bürgerinitiativen dagegen (dies wurde auch dokumentiert), unzureichende und überlastete Infrastruktur für die Abfallbeseitigung, die rituelle Bedeutung des Paan- Kauens in der indische Tradition (nämlich als verdauungsförderndes Mittel, Abschluss des Essens, Begrüßungsgeste u.a.), Einschränken des Spuckens als eine urbane, „zivilisierte“ (N. Elias) Notwendigkeit, Unterdrücken der indischen Traditionen und wachsende Dominanz der westlich-bürgerlichen Verhaltensweisen u.ä.

Auszüge aus dem Projekt wurden ausgestellt in Köln (anlässlich der Präsentation der bemalten Wand an der Luther-Kirche, 2001, und als Beitrag zur Gruppen-Ausstellung „Corporate Identity“, Römisch-Germanisches Museum, Köln, 2007) sowie in Dresden („Spucke, rot!“, Galerie am Alaunplatz, 2003).